Das Geld - wer ist das? Oder Warum nicht?
L: Geld - wieso wer?
P: Ja, ja, Geld hat so eine autonome Macht und soziale Kraft, daß es wie eine Person auftritt, allerdings eine unsichtbare, also geisterhafte.
L: Ein Geldteufel? Oder ein guter Geist?
P: Wie immer, ein logischer Geist. Marx: Die Logik ist das Geld des Geistes. Damit spielt die Moral keine Rolle mehr, zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten ist Logik natürlich eine hochmoralische Sache.
L: Wissen Sie, wie viel Geld Sie gerade eingesteckt haben?
P: Sicherlich, allerdings nicht auf den Groschen, sondern nur in der Größenordnung genau. Ist das schlecht?
L: Schlecht nicht, aber ungewöhnlich. Warum wissen Sie das so genau, ohne nachzusehen?
P: Weil ich gerne weiß, was mich begleitet. Sodann ist man doch durch die Universalware - zumindest die europäische, in den USA wäre es wahrscheinlich die Kreditkarte - gegen unliebsame Überraschungen gesichert, z.B. beim Schwarzfahren.
L: Geld als begleitender Schutzgeist also?
P: Es wäre einfach darauf mit "logisch" zu antworten. Aber Geld ist tatsächlich so etwas wie die soziale Bekleidung, ohne Geld geht man gleichsam nackt. Würde Sie das nicht beunruhigen?
L: Schon. In dieser post-paradiesischen Welt genügt kein Feigenblatt, wir brauchen auch den Geldschein, um unsere Blöße zu bedecken und uns nicht bloßzustellen. Aber so wie es die Flitzer gibt, Leute die aus irgend einem Grund nackt durch die Straßen rennen - so lange sie eben können -, so mag es auch Leute geben, die Genuß dabei haben ohne Geld sich öffentlich herumzutreiben. Dann noch das Armutsideal der verschiedenen spirituell-religiösen Gruppen, oder auch der alten Hippies, man kann sich also durchaus dafür entscheiden, kein soziales Gewand zu tragen, zumindest für einige Zeit und in einem bestimmten Biotop, es gibt ja auch FKK-Strände, wo es nicht anrüchig ist, sich nackt zu zeigen. Aber ist es nicht auch anrüchig zu zeigen, wie viel Geld man hat?
P: Ja, das tun nur die Bettler, denen man in den Hut schauen kann. Man zeigt da aber wohl eher, daß es sich um wenig Geld handelt.
L: Vielleicht sind ja Kontoauszüge etwas ähnlich Intimes wie Tagebücher.
P: Beim entsprechenden Automaten gibt`s da die entsprechenden peinlichen kleinen Manöver des Geheimhaltens und Verdeckens, aber ehrlich, wer würde schon veröffentlichte Kontoauszüge lesen wollen, Tagebücher sind da literarisch manchmal spannender.
L: Beim momentanen Geschehen gibt es schon Journalisten, die gerne die richtigen Kontoauszüge einsehen wollten, um Auszüge daraus zu veröffentlichen.
P: Im juristisch-politischen Diskurs spielen Zahlen oft eine seltsame Rolle hinsichtlich Legalität und Illegalität, das Geld tritt da leibhaftig ja weniger in Erscheinung, höchstens mal ein Koffer irgendwo, dann aber verschwindet es sozusagen spurlos. Der Kontoauszug ist das Gedächtnis dieser Spuren, insoferne verräterisch.
L: Wo ist das Geld eigentlich, wenn es nicht da ist? Hat es so etwas wie ein Zuhause?
P: Man kann in diesem Fall vermuten, daß es sich bei den anderen versteckt. Aber ein Zuhause hat es wohl überhaupt nicht, Geld ist buchstäblich home-less, obwohl es natürlich eine Nationalität (noch) hat, bald hat es bei uns nur mehr eine Kontinentalität (zumindest eine halbe oder so). Aber seine wesentliche Eigenschaft ist das ruhelose Umherziehen, das dauernde Wechseln der Erscheinung (Münze, Schein, Scheck, Buchung, etc.) und es zieht uns da mit, es deterritorialisiert uns, um so im alten Schizo-look zu sprechen.
L: Deswegen rennen wir ihm ja nach, weil das Geld dauernd umherzieht.
P: Somit sind wir dauernd auf der Suche nach dem anderen, der es hat, oder den es besitzt, man weiß ja nicht, ob wir das Geld gebrauchen oder es uns, so ist das eben mit den Geistern, sie müssen auch von etwas leben. Lebendes Geld, das sind wir für die Scheine, die sich unterhalten wollen. Die treiben uns um. In einem sozialen Getriebe ist es schwer auszumachen, wer wen wie bewegt, alles ist in Bewegung und drückt und schiebt sich gegenseitig. Da Geld nur in Bezug auf den anderen Wert ist, und der andere manchmal nur für uns wertvoll scheint, wenn er Geld hat, bewegen wir uns auf den anderen zu, obwohl er von etwas auf uns hin bewegt wird, wenn wir Geld haben, was für ihn - oder sein Geld - interessant ist.
Der Besitz drückt uns aber doch wieder zu Boden, überhaupt in der alten märchenhaften Vorstellung des Schatzes aus lauter schweren Goldmünzen. Dann werden wir doch sehr gemütlich, der Schornstein raucht, alles ist im Lot, eben senkrecht, nach unten, erdschwer.
L: Besitz allein macht laufen, wenn er nicht mit dem Eigentum zusammenfällt. Kredit und Bankraub, beide machen tätig. Schon wieder verschwindet das Geld also, entweder um die Ecke oder im Garantiepapier der Schulden. Soll man Geld festhalten? Ist das überhaupt möglich?
P: Eine tiefe alte Weisheit sagt uns, man kann es nicht essen. Damit wird ein wenig die Psychoanalyse attackiert, weil man es in diesem Fall auch nicht so ohne weiteres mit dem Exkrement vergleichen kann, das man allerdings auch nicht festhalten sollte. Um anders als ein Gespenst zu leben, muß man es also weggeben, hingeben, wandern machen, einfach und simpel: den anderen damit zu Boden drücken, den anderen, der uns speist, nährt, anzieht, fährt, unterhält ... Was diesen am Leben erhält, ist wiederum dasselbe, auch er muß es geben, damit er bekommt und bleibt was er ißt/ist, vielleicht gibt er es uns, wer weiß. Aber immer können wir sicher sein, es gibt ein Leben nach dem Tod: unser Geld, das nun andere beglückt. Selbst dafür hat man früher etwas erfunden: das Fegefeuer. Damit wollten die Toten die Lebenden zwingen es für sie auszugeben.
L: Also kann man mit Geld etwas löschen, die Flammen des Fegefeuers kleiner machen, schließlich kann man darin baden, wie uns der Onkel der Onkels immer wieder vormacht. Manche schwimmen ja darin, somit ist es eine Flüssigkeit, es fließt, es trägt uns mit, es fließt zwischen uns, damit wir nicht am Trockenen sitzen. Stranden an den Untiefen des sozialen Meeres.
P: Die Bewohner der Meeresküsten wußten immer schon, daß Geld fließt wie Ebbe und Flut, nicht wie ein Fluß. Um noch einmal jemanden zu zitieren, der sich Geld bloß gedacht hat, weil er keines hatte, Marx, und der die Freiheit an die Schiffahrt gebunden hatte und, nebenbei bemerkt, war für Marx Freiheit in Österreich darum ein Fremdwort. Für die Binnenländer ist Geld ein Strom, der sich immer abwärts bewegt, nur sehr mühsam kommt es wieder. Es schleppt sich sozusagen gegen den Strom.
L: Kann man auch ernsthaft über das Geld sprechen?
P: Nein, dann sind wir verloren.
L: Mit Geld Unsinn treiben ist Sünde, so sagten früher alte Leute.
P: Sinn treiben kann man auch nicht. Aber man kann dem Geld folgen, tun was es will, daß wir tun, sozusagen sich seiner Logik ausliefern, z.B. Spekulieren. Die spekulative Philosophie des Geldes aber wurde lange als sündhaft verfolgt, es sollte sich nicht aus sich selbst vermehren, also Zinsgewinn einbringen.
L: Aber wenn es immer mehr Geld gibt, wird es dann nicht immer wertloser?
P: Ja, so dachte man etwa im 16. Jahrhundert, als die Spanier aus Lateinamerika Silber in Mengen einführten, münzten und damit shopping machten. Das beglückte die anderen Europäer, die ihre Waren gegen diese"neuen"Münzen gaben und damit das Phänomen einer Inflation erlebten, also wertloser gewordenes Geld. Für die Spanier war das verhängnisvoll, dieses Geld zu "machen"kam sie buchstäblich teuer zu stehen. Bald beklagten sie sich, sie seien die"Indianer"von Europa. Man solltealso vorsichtig sein beim Geldmachen. Die heutigen Hüter der Geldmenge wissen das. Für unseren Gebrauch des geisterhaften Schriftgeldes (Papiergeld) ist das eine noch ernstere Frage, Schriftgeld ist ja schon wertlos wenn es auf die Welt kommt.
L: Der Geldschein hat also keinen Heiligenschein, ist er nur scheinbares Geld und trügt der Schein?
P:Tatsächlich fehlt dem Papier der Halo der Münzen. Wer wird im Schein etwas entdecken wollen, was der Münze so eigen ist: die Welt ist eine Scheibe. Aber seit man weiß, daß es sich um eine Kugel handelt, ist man einer anderen Erscheinungsweise des Geldes näher gekommen, nämlich der körperlosen, erscheinungslosen Quantität. Die Kugel spricht gegen den Schein, wir sehen uns nicht auf einer Kugeloberfläche gehen, wir schließen auf diese Figur intellektuell, wir konstruieren die Erde somit gegen unsere Erfahrung. Das Geld als arithmetisches Mittel befreit uns von der Gravität des Metalls, erfordert aber unsere höchste rechnerische Aufmerksamkeit. Einführung der Arithmetik in Europa - das Rechnen mit der Null - und raffinierterer Geldgebrauch (z.B. Wechsel) gehen Hand in Hand. Das Rechnen mit der Null, dem seienden Nichts, das ist die richtige Rechenart des Geldes, mit Nichts rechnen als mit einer Zahl, die das Soziale repräsentiert. Der Schein, das ist nunmehr das Blatt auf dem gerechnet wird - gegen das Brett oder Tuch, auf dem Jetons herumgeschoben werden, der Abakus. Jedes Papier kann Geld werden, wenn es gezeichnet"ist, sozusagen einen Eigennamen trägt, und wenn es geglaubt wird, wenn dem "Zeichner"geglaubt wird. Klar doch, daß es sich um religiöse Fragen handelt und zwar um konkurrenzierende Religionen. Manchmal ist das Glaubenssystem auf einer Seifenblase gegründet - Seifenblasen werden bekanntlich an der Börse gehandelt. Die böse Börse - die Gelderzeugungsmaschine aus dem Nichts, handeln mit der Null, Stätte der ewigen Vermehrung der Null oder der völligen Verdammnis des Nichts.
L: Was kommt nach dem Geld?
P: Nichts was für uns interessant ist.
L: Haben Sie Geld?
P: Nein, aber ich denke oft daran.
Gesprächsprotokoll vom 7.12.2000
L.: Andreas Leikauf
P.: Prof. Dr. Wolfgang Pircher
Prof. Dr. Wolfgang Pircher lehrt am Institut für Philosophie an der Universität Wien und ist Herausgeber des Buches "Sozialmaschine Geld" (Frankfurt, 2000).