Andreas Leikauf

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Vertraut ihnen nicht


Picasso, ACAB und Krempelmenschentum: Gedanken und weiterführende Überlegungen zu den aktuellen Bildern von Andreas Leikauf.

MARTIN BEHR


1)

Was nicht alles vom Aussterben bedroht ist. Der öffentlichen Telefonzelle geht es seit einiger Zeit gar nicht gut, die Schreibmaschine findet bestenfalls noch im Feuilleton ein Plätzchen, Bleistiftspitzer und Blaupapier sind keine Fixpunkte auf dem Bürotisch mehr und die für das Heck des Automobils produzierten Aufkleber verschwinden immer mehr aus dem öffentlichen Bild. Noch in den 70-er Jahren war es in gewissen Kreisen en vogue, die angeblich zweite Haut des (männlichen) Menschen, die Autokarosserie also, mit Pickerln, die Darstellungen und/oder Sprüche aufwiesen, zu bekleben. Basierend auf der barocken Tradition der Emblematik verkündeten Automobilbesitzer mit diesen temporary tattoos der Öffentlichkeit ihre Geisteshaltung, ihren Humor, auch Details aus ihrem intimen Liebesleben. „Vögeln macht Spaß“, stand da etwa als Überschrift zu einem comichaft gezeichneten, kopulierenden Paar zu lesen. Oder: „Mein Hobby: Bumsen“. Oder: „Hurra! Ich bin schon wieder Erster.“ Jenseits der plakativ-obszönen Mitteilungsbereitschaft wurden auch Aufkleber gesichtet, die der Kaschierung der eigenen (tristen) Finanzlage dienlich waren. Das „Mein anderes Auto ist ein Rolls Royce“-Pickerl fand sich vornehmlich auf gerade noch fahrtüchtigen Rostschüsseln.
Die unüberbrückbare Kluft zwischen der aufgestellten Behauptung und der vermuteten, auf der Hand liegenden Realität sollte Betrachter des Pickerls zum Schmunzeln motivieren. Während die Bedeutung der im untersten Trivialbereich angesiedelten Autoaufkleber im Schwinden begriffen ist – wer will sich schon als derber, kleinbürgerlicher Macho outen? – greift Andreas Leikauf die Wahlspruchmentalität in seiner Malerei auf. „My other painting is a picasso“ lautet der Titel eines seiner Bilder. Der Schriftzug besteht aus rotumrandeten weißen Lettern, die eine schwarze, nicht näher definierbare Form -- eine Fahne? ein Polster? – beleben, welche wiederum mit dem roten, viereckigen Bildgrund kontrastiert. Leikauf greift die augenzwinkernde Selbstironie der unter der Gürtellinie angesiedelten Botschaften im klassischen Autopickerl auf, indem er einem fiktiven Sammler (oder sich selbst) unterstellt, sich für ein Leikauf-Gemälde rechtfertigen zu müssen. Picasso steht als breitenwirksames Synonym für etwas Hehres und Unerschwingliches, vergleichbar mit dem Rolls Royce. Auch jene, die der Kunst fern stehen, wissen, worum es geht. Der Künstler stapelt tief. Mit Augenzwinkern und mit Retrocharme.


2)


Irgendetwas tun. Durch die Straßen ziehen, wildfremde Menschen um Geld, nicht um ein paar Cent, gleich um ein, zwei Euro bitten und diese dann im Supermarkt in Dosenbier umsetzen. Im Schlosspark stundenlang auf einer Bank liegen. Die wärmende Sonne genießen. Die Balzrufe der Pfaue und das Knirschen der Parkbesucherschuhe auf den Kieselsteinen hören. Sich über die Pensionistenpaare, deren ineinander verschlungene Hände sich stützen, wundern. Beim Obststand in der Einkaufsstraße dann Birnen und eine Banane mitgehen lassen. Noch nicht reif genug, die Birnen. Mit Freunden nahe dem öffentlichen Brunnen abklatschen und Pläne für den Abend austauschen. Eventuell wieder ACAB auf einen Stromkasten oder auf eine der Plakatwände des verhassten Unternehmers sprayen. In schwarz. Oder besser in rot. Möglichst oft. In der bewährten Dreiergruppe. Perfekt eingespielt. All cops are bastards. Sich dabei nicht erwischen lassen. An die Graffiti aus Kindheitstagen denken. An AC/DC-Schriftzüge, an Fut-Gekritzel auf den hölzernen Hinterseiten der Schalensitze in öffentlichen Verkehrsmittel, an Telefonnummern, die nie korrekt angegeben sind, an aufgeklebte Kaugummis und die mit dem dicken Edding-Stift geschriebenen SK STURM-Lettern.
Irgendetwas unternehmen. Sich eine Karte für das Fußballspiel im Stadion leisten. Dort die Fans der gegnerischen Mannschaft beflegeln. Hurensöhne und so. Arschwarme. Druck ablassen. Aufgestaute, innere Energie ausfließen lassen. Mit Drohgebärden in der Masse sich Selbstvertrauen und Stärke suggerieren. Zum Verbaltäter werden. Biertrinken. Schalschwingen. Sich im Rhythmus der Fangesänge bewegen: Jetzt geht es los, wir hüpfen auf und nieder, wir sind verrückt, und singen immer wieder: Allez, allez, allez, allez. Sich dezent um die Zuneigung eines Mädchens bemühen, das in der Reihe neben dem Sektoreingang seit Wochen seinen Fixplatz hat. Ihr fallweise Blicke zuwerfen. Wenn wir hier stehen, sind wir wie benommen. Dann aber doch wieder alleine nach Hause gehen. Sich mit Bier voll dröhnen. Dystopia hören. Die Erde lieben und die Menschen hassen. Im Suff die Kartons anstarren, zu ihnen Sympathien aufbauen und Gesichter in ihnen entdecken. Das kurze Brummen eines Passagierflugzeugs aus den gleichförmigen Autogeräuschen herausfiltern und sich dessen Passagiere vorstellen. Wie sie auf den Bordbildschirmen Familientaugliches aus Hollywood auswählen und mit Zuchtlachs vollgestopft werden.
Irgendetwas einnehmen noch. Die Wirkung verstärken. In Farbräume taumeln. Und sich noch einmal die Pärchen aus dem Flugzeug vorstellen. Wie deren Urlaub durch Weinkrämpfe am nächtlichen Strand beeinträchtigt war. Die Tränen aus den Augenwinkeln des Anderen heraus rinnen sehen. Betroffenheit in den Gesichtern. Und Stummheit. An Frankie Teardrop von Suicide denken. Ein Happy Loser sein.

3)


„2 Reasons“, „Could be art“, „What a nice day“, “Only the bad survive”, “The sky is the reason why”, “Home sweet hell”, “Ready to riot”. Die Bildtitel von Andreas Leikauf gleichen der Setlist eines Rockkonzerts. Es sind aus der Alltagswelt, aus Pop, TV, Film, Mode, Werbung oder Comic übernommene, beziehungsweise adaptierte Formulierungen, die auf den ersten Blick bekannt erscheinen. Die vertraut klingen. Die in die Bilder geschriebenen Worte in englischer Sprache sind stets auch die Titel für das ganze Bild. Häufig werden die Worte, Begriffe und Redewendungen in unspektakulären Großbuchstaben geschrieben, bisweilen verstärkt die Art der gemalten Buchstaben deren Wirkung. Etwa wenn die Tradition aus Horrorfilmen und Gruselromanen übernommen wird und die Buchstaben nach unten hin Rinnspuren aufweisen, was den Charakter des Blutrünstigen verstärken soll. Oder aber ein von Zacken dominierter Schriftstil verstärkt den subkulturellen Charme der innewohnenden Botschaft. Kleinschreibung und Schreibschrift wiederum wählt Leikauf, wenn er seinem Bild eine zeitgeistige, magazinähnliche grafische Titelblattqualität verpassen möchte.
Die Leikauf’schen Slogans stehen zu den Darstellungen in einem direkten, intensiven Bezug. Worte wie Motive sind Versatzstücke aus einer uns umgebenden Bilder-, und Textflut, in die der Künstler abtaucht und ausgewählte Fragmente ans Land bringt, abstrahiert, kombiniert, erweitert und so zu neuen Bedeutungen verbindet. Mit diesem Dialog aus Darstellung und Textbeschreibung steht Leikauf in einer langen österreichischen Tradition, in die sich unter anderem Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Alfred Kubin bis hinauf zu Günter Brus zahlreiche Kunstschaffende eingereiht haben. Die Texte können vielfältig gedeutet werden. Es gibt bloße Beschriftungen des Gezeigten, Sinnspruchartiges, leere Redewendungen, die – in Bezug mit der Malerei gesetzt – doch wieder mit Inhalten gefüllt werden, weiters Handelsanweisungen oder Aufforderungen, dies oder das zu tun, poetische Miniaturen, Trashverulkungen, Ausrufe, Fragestellungen, pathetische Welterklärungsversuche, Feststellungen zur Lage, Einworttitel mit doppeltem Boden und noch vieles andere mehr. Wortrecycling also, welches die aus Zeitungen und Zeitschriften vorgenommene Bilderwiederverwertung auf eine neue Ebene hebt: Platitüden werden entlarvt, Hochglanzbilder beginnen zu kippen, Idyllen wanken und welken, das Gewohnte erhält einen Filter, der verunklärt, das Einfache, Unspektakuläre, das Detail wird aufgeladen. Die Buchstaben und Worte scheinen im Bildraum zu schweben oder sind mit Teilen des Bildes, etwa Zettel, Banderolen, Jacken, T-Shirts, Krawatten oder anderen Kleidungsstücken verwoben. Leikauf präsentiert dem Betrachter eine zeitgemäße Emblematik, deren schöner Schein der dargestellten, jugendlichen Personen konterkariert wird. Im Nachhall dieser meist zweifärbigen Bilder schwingt Folgendes mit: traurige Leere und der Rat, nicht leichtgläubig zu sein. Don’t trust them“, könnte ein Bildtitel von Andreas Leikauf lauten.

4)

Aschenbecher, Zigaretten und Feuerzeug liegen am Tisch. Von Rotlicht beschienen. Dahinter: Die Frau mit dem langen schwarzen Haar, die Beine entspannt übereinander geschlagen, die Arme auf diesen angewinkelt ruhend. Gemütlich. Die helle, ums Eck gehende Sitzgruppe verrät Stil des Besitzers. Im Zimmer könnte ein Flachbildschirm an der Wand hängen, der Kühlschrank ist eventuell gefüllt mit Napa Valley Fume Blanc, der ultrakleine CD-Player ist gewohnt, Norah Jones und Carla Bruni eingeschoben zu bekommen. Neuerdings auch Amy Winehouse. Das Leben, ein Wunschbild. Eines ohne Gesichter. Ohne menschliches Antlitz. Ein Trugbild? Drei Worte dokumentieren den jähen Abstieg von der idealisierten Vorstellung einer konsumorientierten Welt, hinab zur brodelnden Ungewissheit: Alles Schimäre? Menschlicher Jammer hinter der geschönten Fassade? Nichts als schöner Schein? Could be perfect, heißen die drei Worte. Wohlgemerkt: Konjunktiv. Also eben doch nicht heile Welt. „Das Leben ist Kampf und Krampf – das ist alles. Es gibt nur kurze Perioden, in denen man zufrieden ist. Alles andere sind Sorgen – um die Familie oder um sich selbst“, sagt der Fußballtrainer Ivan „Ivica“ Osim. Kampf und Krampf. Genau. Sitzt der Frau nicht jemand gegenüber? Schemenhaft sind ein Teil einer (männlichen?) Hand und einer Hose zu sehen. Could be perfect. Wenn eben nicht die Situation so wäre, wie sie ist. Weil jetzt die lange hinaus gezögerte Aussprache beginnt. Vielleicht. Vielleicht lässt sich das Beziehungsdrama auch nicht mehr kitten. Alles verloren. Aber eben Haltung zeigen. Nicht aus der Rolle fallen. Stil zeigen, auch im Gram, im Verdruss. „Darf ich Dir etwas bringen?“ Sich nicht als Teilmenge des Krempelmenschentums ausweisen. Krempelmenschentum? Schriftzeichenvollversammlung? Selbstergebnisdeterminierungsnotwendigkeit? Spätestens jetzt wissen wir Bescheid. Werner Schwab. Der Dreck habe Werkscharakter, das Gute habe Werkscharakter, schreibt dieser im Essay Der Dreck und das Gute. Das Gute und der Dreck. Und weiter: Der Kulminationspunkt habe Werkstoffcharakter, die Verzweiflung sei Werkstoffcharakter. Und die Langeweile sei der Hochsicherheitshauptstoff der Grundbefindlichkeitsindustrie. Andreas Leikauf taucht sein Krempelmenschentum in grelle Farben und modelliert aus kollektiven Sehnsüchten und individuellen Nöten expressive Holzschnitte, die ohne den Werkstoff Holz auskommen. Deren Schriftenvollversammlung zur Enttrivialisierung beiträgt.
Der Dreck und das Gute. Halten in den Leikauf’schen Bildern oft Balance. Freilich: Nur angedeutet, nicht ausformuliert. Vermischen sich zu einem Katalysator für Geschichten in den Köpfen der BetrachterInnen. Narrative Kraft ohne Wahrheitsanspruch. Konjunktiv eben. Könnte, vielleicht. Vielleicht ist alles ganz anders. Kein letzter Ausspracheversuch. Keine Carla Bruni. Kein Krempelmenschentum. „Magst Du eine Zigarette?“ Ein perfekter Abend. Oder nicht?


5)


Damit Junkies in öffentlichen Toilettenanlagen ihre Venen nicht oder nur schwer auffinden können, lassen Stadtverwaltungen in größeren Städten intensives Blaulicht montieren. Dadurch verlieren die menschlichen Gefäße, die das Gift aufnehmen sollen, an Kontur. Dominante Farbräume und –Stimmungen prägen auch die Bilder von Andreas Leikauf: leuchtendes Türkis, aufgehelltes Erbsengrün, unterschiedlichste Rot- und Violetttöne, schattiges Braun, blassblau, blassrosa, cremiges Ocker, selten aber doch Weiß, Gelb oder ein modisches Orange. Die Dominanz einer Farbe in Kombination mit dem Schwarz der figuralen Darstellung lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, intensiviert die Blickrichtung der BetrachterInnen. Diese Prägnanz mit Hang zur Dramatik erinnert an Groschenroman-Covergestaltungen, beispielsweise an Ausschnitte, Vergrößerungen von Details aus Titelseiten alter Jerry-Cotton-Hefte. Die Liebe zur Trashkultur, zu Underground und Junk wird hier – ebenso wie beispielsweise in Wolfgang Bauers Gedicht „Das Herz“ zitiert: In Ermangelung einiger Dollars/reiße ich wieder einmal mein Herz heraus/ knalle es blutspritzend auf die schwarze Theke/ einer kleinen Bar in Tijuana/ dem Blutbad entweichend/ trinke ich meinen Tequila/ draußen/ höre ich Chet Bakers Flötentrompete rauchig blasen/ mitten aus der Hitze kommt der Ton/ von einer weißen Wolke/ das sind so meine Schießereien (…). Das Grelle, das Sinnliche in der von Leikauf angewandten formalen Ästhetik wird durch eine eigentümliche Ruhe, fast schon Fadesse, die von den dargestellten Personen ausgeht, gemildert. Leikauf zeigt seine Figuren meist im Stadium des Innehaltens, des stillen Nachdenkens, der quälenden Selbstzweifel oder in fragender Neugier.
Ganz selten sind actionreiche Posen dargestellt. Stattdessen: der stille Blick zur Seite, Narrenkastlschauen, der leicht zu Boden gesenkte Kopf, der nur teilweise sichtbare Kopf und manchmal ein direkter Augenkontakt. Trotz Jugend und Schönheit und offensichtlichem Wohlstand erwecken sie nicht selten Mitleid, die Leikauf-Figuren, die einem Film, einem Magazinfoto oder einem 16 Bogenplakat entsprungen sein könnten. Die irgendwie irritiert, desorientiert, mit sich selbst nicht im Reinen, die auch deplaziert wirken. Right time to be wrong. Wer hat denn Hell auf den hübschen Couchpolster gestickt? Ist da nicht eine Träne im Gesicht des Mädchens mit den traurigen Augen und den langen Zöpfen zu sehen? Und warum fühlt sich der Hagere, der mit dem Popstargesicht, nicht wohl? Irgendwas stimmt hier nicht. Das Leben, ein Irrtum. Ein Weg in den Morast. Ernstfall. Es ist schon längst soweit. Ernstfall. Normalzustand seit langer Zeit. Ja, ja Fehlfarben. Ernstfall im Zentrum der Zivilisation. Und nichts hilft mehr. Auch kein intensives Blaulicht.